Wege aus der Krise Die Insolvenz in Eigenverwaltung zur Sanierung von Unternehmen in der Gesundheitsbranche
Von Klaus Ziegler
Nach einer Sonderauswertung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) erwarten 72 Prozent der Gesundheitsbetriebe in 2020 deutliche Umsatzrückgänge. Dieser Trend wird sich 2021 fortsetzen. Verschobene Operationen, gestörte Lieferketten und Mitarbeiterausfälle sind die negativen Auswirkungen der Corona-Krise, die die Gesundheitsbranche zu spüren bekommt. Der wirtschaftliche Druck und Abwärtstrend haben aber auch strukturelle Ursachen, die schon vor Corona zu erkennen waren. Dies gilt insbesondere für die stationäre medizinische Versorgung. Die Krankenhausstudie von Roland Berger hat bereits im Jahr 2019 gezeigt, dass lediglich 32 Prozent der Krankenhäuser einen Überschuss erwarten, also nicht einmal jedes zweite. 66 Prozent der Krankenhäuser können nicht mehr im ausreichenden Maße investieren. Daraus entsteht ein Teufelskreis aus Krankenhaussterben und Insolvenzen.
Und auch die Pflege ist in Not. So haben im Februar 2021 zwei Unternehmensgruppen mit insgesamt 745 Mitarbeitern einen Insolvenzantrag gestellt. Hier ist in den Bilanzen Von Klaus Ziegler ebenso zu erkennen, dass ein Restrukturierungsbedarf schon früher gegeben war.
Die gesetzlichen Sanierungsmöglichkeiten finden zu wenig Beachtung
Frühzeitig angewendet, schafft die Insolvenzordnung sehr gute Restrukturierungs- und Sanierungsmöglichkeiten, auch für die Gesundheitsbranche. 2012 wurde hierzu im Zuge der Insolvenzrechtsreform das sogenannte ESUG geschaffen, das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen. Zusätzlich gibt es seit 01.01.2021 das Gesetz zur Stabilisierung und Restrukturierung von Unternehmen, mit dem in einem gesetzlichen Rahmen auch außerhalb einer Insolvenz saniert werden kann. Dabei ist für beide Verfahrensarten ein Aspekt von großer Bedeutung: Je früher eine Sanierung mit Hilfe erfahrener Sanierungsexperten eingeleitet wird, desto höher sind die Erfolgschancen. Leider sind diese Möglichkeiten – nicht nur im Gesundheitssektor - noch zu wenig bekannt und es existieren viele falsche Mythen hierzu.
"Ohne Restrukturierung ist der ökonomische Fußabdruck des Gesundheitssektors in Höhe von 678,2 Mrd. Euro gefährdet."
Wir brauchen eine neue Scheiternskultur
Dem Motto „Je früher, desto besser“ steht bei uns jedoch eine Scheiternskultur gegenüber, die einer frühzeitigen Begegnung der Krise mit offenem Visier begegnet. Denn in Deutschland kämpft immer noch jeder zweite, der unternehmerisch gescheitert ist, mit längerfristigen negativen Beurteilungen. Und das führt genau zu dem Verhalten, dass viele Betroffene sich erst dann Hilfe holen, wenn bereits die Insolvenzreife eingetreten ist, also Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung. Häufig geht es dann schon um Insolvenzverschleppung, mit haftungstechnischen und strafrechtlichen Folgen. Beim Thema medizinische Versorgung spielt noch ein Trend eine wesentliche Rolle: Die Pläne der öffentlichen Hand, ob die betreffende Einrichtung mit den bestehenden Trägern fortgeführt werden soll oder eventuell eine Rekommunalisierung geplant ist.
Eine „Mentalitätsreform“ nach der Formel „Erfolg = Scheitern + Lernen“ stünde dem deutschen Gesundheitssektor sehr gut zu Gesicht. Zumal der Gesetzgeber diese „Reform“ im Insolvenzrecht schon seit längeren verankert hat. Denn das ESUG soll Kliniken, Pflegeeinrichtungen und anderen Institutionen einen Anreiz bieten, früh- und rechtzeitig in ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung oder in ein Schutzschirmverfahren zu gehen. Auch die Bezeichnung „Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ spiegelt dies deutlich wider. Der Gesetzwille ist die nachhaltige Sanierung und Fortführung, nicht die Zerschlagung!
Sanierung und Restrukturierung in Eigenverwaltung
Im Vergleich zur Regelinsolvenz kommt bei der Insolvenz in Eigenverwaltung keine externer Insolvenzverwalter. Vielmehr übernimmt diese Rolle der Geschäftsführer selbst. Gerade für die Fortsetzung der Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten, aber auch für das Personal, kann dies von Vorteil sein. Unterstützt wird der Manager der Gesundheitseinrichtung dabei von einem erfahrenen Sanierungsexperten.
Vor der Antragstellung beim Gericht wird von einem Sanierungsexperten ausführlich geprüft, ob die Einrichtung saniert und fortgeführt werden kann. Dies muss in der Eigenverwaltungsplanung dokumentiert werden, welche dem Antrag beigefügt wird. Ist diese Hürde genommen, ist ein positiver Verlauf einer Eigenverwaltung wahrscheinlich.
Mit Bewilligung des Antrags auf Insolvenz in Eigenverwaltung durch das Insolvenzgericht greifen die Finanzierungsinstrumente der Eigenverwaltung, wie z. B. die Insolvenzgeldfinanzierung, mit der die Löhne und Gehälter bis zu drei Monate subventioniert werden. Weitere Liquidität schaffende Effekte generieren sich z.B. aus der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen im vorläufigen Verfahren sowie der vorübergehenden Einstellung von Zahlungen für Darlehenstilgungen und Zinsen im Verfahren.
Mit den Finanzierungsinstrumenten wird ein Liquiditätspolster geschaffen, mit der im weiteren Verfahrensverlauf die Restrukturierung erfolgen kann. So sind auch die im Gesundheitssektor spezifischen Herausforderungen der effektiven Positionierung des Leistungsportfolios, effizienten Gestaltung der Prozesse, Fusionen sowie die Digitalisierung. Im Fokus steht dabei auch die Etablierung von Veränderung als konstante Aufgabe gerade im Gesundheitswesen, beispielsweise mittels Synergien schaffender Kooperationen. Dieses Polster ermöglicht gleichzeitig, die gerade bei den „öffentlichen“ Trägern sehr zeitintensiven Verhandlungen mit besicherten Gläubigern und den Gremien der Träger bezüglich Verlustausgleichsbeteiligungen und zukünftigem Medizinkonzept lösungsorientiert zu führen. Der Werkzeugkasten der Insolvenzordnung erleichtert dabei die Sanierung. So können zum Beispiel verlustbringende Verträge und Dauerschuldverhältnisse kurzfristig beendet werden, auch bei noch jahrelangen Restlaufzeiten. Ein gegebenenfalls notwendiger Abbau von Mitarbeitern wird zeitlich und kostenseitig ebenso erleichtert wie weitere notwendige Sanierungsmaßnahmen. In der Sprache des Gesundheitssektors könnte ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung auch als professionelle Intensivmedizin mit anschließender Reha umschrieben werden.
Von Vorteil ist auch die höhere Rechtssicherheit im Vergleich zu einer außergerichtlichen Sanierung. Insbesondere können bei rechtzeitiger Antragstellung Schadensersatzansprüche wegen Insolvenzverschleppung oder Vermögenabflüssen ab Eintritt einer Insolvenzreife vermieden werden. Denn gerade bei einer außergerichtlichen Sanierung befindet man sich hinsichtlich des Eintritts oder Nichteintritts der Insolvenzreife meist schon in einer Grauzone. Zu guter Letzt schafft ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sogar wieder Vertrauen in die Einrichtung. Die auf Fortführung und Sanierung ausgerichtete Eigenverwaltung sorgt für Klarheit. Der bisher handelnde Geschäftsführer bleibt an Bord, es besteht ein Verbot zur Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von außen und die Lieferanten erhalten Sicherheit durch Vorkasse. Das alles trägt dazu bei, dass gerade in der Eigenverwaltung wieder zu einer stabilen operativen Fortführung zurückgefunden werden kann. Im Sinne der Gläubiger überwacht ein vom Gericht bestellter Sachwalter das Verfahren, und ein Sanierungsprofi begleitet es. Dies erhöht das Vertrauen der Gläubiger, Banken, Lieferanten und Mitarbeiter nochmals deutlich.
Wie kommt man nun wieder aus einem Eigenverwaltungsverfahren heraus? Das gelingt zum einen mit einer Insolvenzplanlösung, in der mit bestimmten Gläubigergruppen Vergleiche im Rahmen der zur Verfügung stehenden Masse getroffen werden. Hierbei können die Anteilsrechte der bisherigen Gesellschafter bestehen bleiben oder das Gesundheitsunternehmen wird über einen sogenannten Share Deal an einen Investor teilweise oder komplett verkauft. Ein Vorteil bei dieser Lösung besteht z.B. für Krankenhäuser darin, dass der Krankenhausträger ebenso erhalten bleiben kann wie auch die bestehende Budgetvereinbarung mit den Krankenkassen, sowie die Aufnahme in den Landeskrankenhausplan.
Die andere Möglichkeit ist ein Asset Deal, bei dem der Geschäftsbetrieb und spezifizierte Vermögenswerte an einen Investor übergehen. Aus der vorhandenen Masse und dem Kaufpreis erhalten die Gläubiger eine bestimmte Quote. Entscheidend ist bei allen Lösungen, dass die medizinische Einrichtung schulden- und altlastenfrei fortgeführt werden kann.
"Der Werkzeugkasten der Insolvenzordnung schafft
finanzielle Stabilität im Eigenverwaltungsverfahren
und bietet etliche Hebel für eine schnelle und kostenschonende
Sanierung und Restrukturierung."
Neue Sanierungs- und Insolvenzgesetzgebung zum 1. Januar 2021
Das am 01.01.2021 in Kraft getretene Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) berücksichtigt auch die Erkenntnisse der Evaluierungsstudie des Bundesjustizministeriums zur Eigenverwaltung. So müssen die Antragsteller zukünftig eine umfassende Eigenverwaltungsplanung einreichen, die aus einem Finanzplan für sechs Monate, einem Restrukturierungskonzept, einer Darstellung der Stakeholder-Verhandlungen, der insolvenzspezifischen Schutzmaßnahmen sowie einem Kostenvergleich von Eigenverwaltung und Regelinsolvenz besteht. Damit wird der Anforderungskatalog an eine Eigenverwaltung zwar höher, aber auch konkreter und steigert somit bei professioneller Vorbereitung die Qualität und Erfolgsaussichten der Eigenverwaltungen. Die Eigenverwaltung wird damit als geeignetes Sanierungs- und Restrukturierungsinstrument bestätigt.
Das neue Sanierungsrecht sieht auch den präventiven Restrukturierungsrahmen ab 01.01.2021 als Sanierungsalternative. Das sogenannte Unternehmensstabilisierungsund -restrukturierungsgesetz (StaRUG) bietet die Möglichkeit, im Rahmen eines Restrukturierungsplanes frühzeitig Maßnahmen zur Vermeidung einer Insolvenz zu ergreifen und diese legitimiert von einer Mehrheitsentscheidung von mehr als 75 Prozent der Gläubiger durchzusetzen. Im Rahmen des StaRUG können zudem beim Gericht Stabilisierungshilfen beantragt werden, die das Unternehmen im Zeitraum der Sanierung vor Zwangsmaßnahmen (wie z.B. Pfändungen) und der Verwertung von Sicherheiten von außen schützen. Wesentliche Voraussetzung für die Nutzung dieses Sanierungsinstruments ist, dass die Unternehmen drohend aber noch nicht zahlungsunfähig und/- oder überschuldet sind.
Fazit:
Schließungen von Gesundheitsreinrichtungen sind nach den aktuellen Eindrücken der Corona-Pandemie schwierig zu vermitteln. Aufgrund des eingangs beschriebenen, zunehmenden wirtschaftlichen Drucks auf den Gesundheitssektor sollte sich das Management dieser Unternehmen vielmehr spätestens jetzt mit der richtigen Restrukturierungsstrategie auseinandersetzen. Der geeignete Sanierungsweg hängt dabei von Krisenstadium und den Krisenursachen ab. Wenn ein Unternehmen im Gesundheitswesen grundsätzlich rentabel ist, jedoch aufgrund eines veränderten Geschäftsmodells plötzlich Cash-Probleme wegen eines erhöhten Bedarfs an Working Capital hat, kann eine Bankenfinanzierung auf Grundlage eines Sanierungsgutachtens nach IDW S6 sinnvoll und ausreichend sein. Allerdings ist dabei stets zu berücksichtigen, dass die finanziellen Belastungen in der Zukunft wegen des gestiegenen Kapitaldienstes zunehmen. Im StaRUG sind außergerichtliche oder gerichtliche Vergleichslösungen mit ausgewählten Gläubigern gesetzlich möglich, ein Eingriff in Vertrags- und Mitarbeiterrechte jedoch nicht. Ein außergerichtlicher Vergleich auch außerhalb des StaRUG wird aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes aller Gläubiger und der hohen Rechtsunsicherheit nur noch rein theoretisch existieren. Wird eine umfassende finanzielle, strategische und leistungswirtschaftliche Sanierung und Restrukturierung notwendig, so bietet hierfür die Insolvenz in Eigenverwaltung den weitaus größten Werkzeugkasten. Und dies ohne neue finanzielle Belastungen für die Zukunft bei größter Rechtssicherheit. Ein entsprechender Vergleich der Sanierungswege ist in Abbildung 1 dargestellt.