Der Feind in meiner Familie

Markt und Mittelstand Ausgabe 08 l 2021
Markt und Mittelstand Ausgabe 08 l 2021

Pensionszusagen können Familienunternehmen in den Ruin treiben. Vor allem, wenn sie nicht gedeckt sind.

Von Anke Henrich

Eines vorab: In dieser Geschichte gibt es keinen Bösen und keine Gewinnerin. Sie handelt von der verschlungenen Lebens- und Arbeitsbeziehung zwischen Vater und Tochter, zwischen Mutter und Brüdern. Lauter Menschen, die für sich selbst, für das Unternehmen oder für beides das Beste gewollt haben. Es geht um das Beinahe-Ende der Weihbrecht Lasertechnik GmbH aus Wolpertshausen. Doch tatsächlich geht es um mehr: nämlich darum, was passiert, wenn im Familienunternehmen die Familie auseinanderbricht. Das Amtsgericht Heilbronn erlässt am 1. September 2020 den Beschluss: „Das Unternehmen ist sanierungsfähig und sanierungswürdig – es kann durch Eigenverwaltung nach § 270a der Insolvenzordnung in die Sanierung gehen.“ Hinter den staubtrockenen Worten stecken die Zukunft des Lebenswerks von Gründer Gerhard Weihbrecht und eine Chance für Tochter Franziska. Sie übernahm die Firma und leitete die Insolvenz in Eigenverwaltung ein. Sie rettete damit die Firma. Die 35-jährige Geschäftsführerin berichtet ungewöhnlich offen über ihren Weg. Sie denkt und redet schnell. Ihre lebhafte Körpersprache bestätigt, was sie sagt. Sie eignet sich fehlendes Wissen zügig an und ist hartnäckig. Die Tochter ihres Vaters eben. „Ich war ein echtes Papakind“, erinnert sie sich an bessere Zeiten.

„Du kennst keine Angst“

Ihr Unternehmen ist ein typischer deutscher Mittelständler. Vater Gerhard gründete es 1986 als Ein-Mann-Unternehmen für Laser- und Wasserstrahlschneiden in Schwäbisch Hall. Der versierte Techniker erweiterte Mitte der 90er-Jahre das Portfolio um eine Rapid-Prototyping-Abteilung, vor allem für die Automobilbranche. 62 Mitarbeiter erstellen heute hochpräzise Bauteile in verschiedenen Verfahrensweisen wie Laser-Sintern, Vakuumgießen und Metallguss. „Die Firma war gesund und meine Eltern machten sich als Geschäftsführer Pensionszusagen in Millionenhöhe“, berichtet Franziska Weihbrecht heute nüchtern über das, was längst Geschichte ist. Sie schüttelt sich beim Erzählen. „Ich war als Teenager ein echter Rebell. Habe vieles angefangen und nicht zu Ende gebracht.“ Der Vater habe ihr ein Fundament bauen wollen. Sie sollte als Industriekauffrau im elterlichen Betrieb eine Ausbildung machen.

Franziska Weihbrecht
Auf die harte Tour: Franziska Weihbrecht übernahm den Betrieb gutgläubig vom Vater. Letztlich konnte sie das Unternehmen nur durch eine Insolvenz in Eigenverwaltung retten – nach einem Kampf gegen die Familie.

Der Vater erkennt früh, was in ihr steckt: Technik begeistert sie, sie denkt unternehmerisch und ist risikobereit. „Ich habe mich wie ein Küken an meinen Vater geklemmt, ihn später auf Messen, zu Geschäftspartnern und Bankterminen begleitet. Ich hatte richtig Lust auf das Unternehmen bekommen und wollte wissen: Was macht er eigentlich den ganzen Tag?“ Später wird sie die Assistentin der Geschäftsführung und macht das wichtige Thema Qualitätssicherung zu ihrem Metier. Sie stürzt sich in Fortbildungen zu Technik und Werkzeugen und erkennt das Potenzial für die Weihbrecht GmbH. „Mein Vater sagte: Du bist wie ich. Du kennst keine Angst.“

Der Senior schätzt ihr Engagement. Ihre Brüder, beide aktiv im Unternehmen, schätzen es eher nicht, so sagt sie es. 2008, als die Finanzkrise beginnt, auch die Wolpertshausener zu beuteln, kommt das Thema Generationswechsel erstmals auf – und wird vertagt. 2015 ist es wieder da. Da ist Franziska Weihbrecht 30 Jahre alt, seit acht Jahren im Betrieb und traut sich den Schritt zunächst an der Seite des Vaters zu. Ihre Mutter und die älteren Brüder sehen das anders. „Sie gingen auf die Barrikaden. Es war, als hätten sie plötzlich die Erkenntnis: Oh Schreck, Franziska meint es ernst!“

Doch lieber Westernreiten

Um die Lage zu deeskalieren, sucht sich die Familie einen Mediator. Das Ergebnis: Die drei Geschwister sollen die Firma gemeinsam führen. Alle drei stimmen zähneknirschend zu, doch am nächsten Tag ziehen die Brüder wieder zurück. Der Vater droht, wie so viele Väter drohen: Ich verkaufe die Firma. „Das wollte ich auf gar keinen Fall, wir hatten uns doch in 30 Jahren einen guten Ruf erarbeitet“, erinnert sich Franziska Weihbrecht an diesen schwarzen Tag. Sie überlässt den Brüdern kampflos das Feld. „Ich sah mich mein Hobby zum Beruf machen und als Trainerin für Westernreiten arbeiten.“ Doch schon zum Jahreswechsel 2016 steigen die Brüder wieder aus – und die Schwester wieder ein, bereit zur Übernahme. Sie vertraut ihrem Vater, aber sie hat keinen Überblick über die Finanzen. „Ein schwerer Fehler“, resümiert sie heute, „vielleicht wollte ich es auch nicht sehen. Ich war wohl ein bisschen zu sehr in Watte gepackt.“

„Genau da liegt der Hund oft begraben in Familienunternehmen“, sagt Thomas Planer, Geschäftsführer der Planer & Kollegen GmbH, eines Sanierungsexperten für kleine und mittelständische Unternehmen. 2020 heuert Franziska Weihbrecht ihn als externen Berater an. Das war, nachdem sie erkannt hatte, in welcher Schieflage die Firma war. Planer sagt heute: „Das Unternehmen war operativ nicht schlecht aufgestellt, aber noch optimierungsfähig. So schmälerten etwa zu hohen Kosten für Betriebsgebäude den Gewinn. Existenzbedrohend aber waren die Pensionszusagen für Vater und Mutter Weihbrecht. Nicht, weil sich die Eltern Rente in Millionenhöhe zugesprochen hatten, sondern weil sie nicht für die nötigen Rücklagen gesorgt hatten.“

Franziska Weihbrecht sagt: „Ich wusste damals von den Zusagen, aber nicht, was sie für ein Klotz am Bein des Unternehmens waren.“ Und ihre Eltern? Planer hat dazu eine für die Tochter schmerzhafte Meinung: „Die Eltern ließen sie sehenden Auges in die Schwierigkeiten laufen. Die Gestaltung zeigt, dass der Vater wusste, was er tat.“ Auch die vorzeitig aus dem Leasing genommene Immobilie, die Franziska Weihbrecht als Absicherung des nötigen Kaufkredits dienen soll, ist nur Augenwischerei. Die Bank akzeptiert sie nicht als Besicherung, weil Mutter Weihbrecht auf ihr im Grundbuch festgehaltenes Recht, die Immobilie als erste kaufen zu können, bestand, wie die Tochter bitter berichtet. Dazu die niederschmetternde Nachricht: Selbst, wenn die Eltern auf ihre Pensionszusagen komplett verzichten, ist das Unternehmen pleite. Denn entfallene Pensionsverpflichtungen wertet das deutsche Steuerrecht als eine zu versteuernde Gewinnerhöhung des Unternehmens. Bei einer Zusage über zwei Millionen Euro bedeutet das eine sofortige Steuernachzahlung von einer Million Euro. Und auch die Eltern müssten Steuern nachzahlen. Franziska Weihbrechts Welt dreht sich immer schneller. Wohin sie guckt: ein neues Problem. Der Wert des vermeintlich soliden Unternehmens erodiert.

Der Vater sieht rot

Statistik großer Generationenwechsel, zur Übergabe anstehender UNternehmen
Quelle: IfM Bonn

Planer und Tochter Weihbrecht machen sich ans Werk, heben Zahlen und Fakten. Sie steuern auf eine Insolvenz in Eigenverwaltung zu. Vater Weihbrecht sieht rot, wie die Tochter heute berichtet. Er fürchtet um sein Lebenswerk, seine Pension, seinen Ruf. Dieses Mal setzt sich die Tochter gegen ihren Vater durch. Sie holt die Lieferanten und Kunden auf ihre Seite. „Ich habe jeden regionalen Großkunden angerufen. Sie sollten es nicht aus der Zeitung erfahren. Ich habe zu jeder Zeit offen kommuniziert und nichts beschönigt.“ Sie sagt es ruhig. Dabei findet sie sich unvorbereitet im größten Sturm ihres Lebens wieder, ihre Familie ist ihr Gegner. „Ich hätte in meinem Privatleben außerhalb der Familie mehr Rückendeckung brauchen können“, fasst sie ihre Enttäuschung zusammen. Aber Außenstehende können kaum nachvollziehen, dass sich in der Not wirklich alles um die Firma dreht. Sie kennen nicht das Gefühl, das die Kehle zuschnürt, mit nur einer Fehlentscheidung sich selbst, eine Firma und Dutzende Mitarbeiter um die Existenz zu bringen. Auch Neid auf vermeintlichen Wohlstand ist oft ein Thema.

Es wird einsam um Franziska Weihbrecht. Ihr Vater schlägt längst einen anderen Weg ein. Aus dem interessierten Techniker wird ein ausgewiesener Querdenker, privat wie beruflich, polizeilich bekannt. Die Mutter zieht im Kampf um ihr Altenteil alle juristischen Hebel. Die Belegschaft ist lange nicht überzeugt von ihren Plänen. Doch Franziska Weihbrecht zieht es durch. Spricht mit Gläubigern, Banken, Juristen, Steuerexperten, Ingenieuren. Erneuert den Maschinenpark, optimiert interne Prozesse und Einkauf, modernisiert die Organisation. Sie macht ihre Hausaufgaben gründlich. Bei Redaktionsschluss liegt das Verfahren in den letzten Zügen. Planer geht davon aus, dass die Gläubiger dem Insolvenzplan zustimmen werden. Der Sanierer findet klare Worte für Vater und Mutter Weihbrecht. „Wir haben vergeblich versucht, den Vater ins Boot zu holen. Ich finde Eltern, die ihren Kindern so etwas antun, bestürzend.“ Eigentlich könnten sie doch stolz sein auf ihre Tochter: „Wenn sie das Verfahren nicht gegen alle Widerstände zur Rettung der Firma so aktiv vorangetrieben hätte, müssten heute wohl alle unter der Brücke schlafen.“ Er zürnt: „Oft stehen junge Nachfolger völlig zu Unrecht in der örtlichen Kritik. Das Kind übernimmt dann den väterlichen Betrieb und muss aus dem gleichen Umsatz auch noch verschleppte Investitionen und andere Altlasten stemmen. Wenn es dann nach zwei Jahren die Reißleine zieht und Insolvenz in Eigenverwaltung anmeldet, heißt es: So ein Depp!“ Das Thema bringt den ruhigen Planer ungeplant in Wallung. Die Weihbrecht GmbH zum Jahresende 2021: Das Unternehmen schreibt schwarze Zahlen. Der Großteil der Arbeitsplätze blieb erhalten. Die Pensionszusagen der Eltern werden über den Pensionssicherungsverein anteilig nach der Insolvenzquote bedient. Die Familie Weihbrecht allerdings ist zerstört.


INSOLVENZ IN EIGENVERWALTUNG – RETTERIN IN DER NOT Anders als bei einer Regelinsolvenz behält die Geschäftsführung des angeschlagenen Unternehmens die Kontrolle.

Stellt der Unternehmer einen Antrag auf Eigenverwaltung, dann behält er die Leitung der Firma. Ihm wird ein Sachverwalter zur Seite gestellt, der das Eigenverwaltungsverfahren überwacht und nur dann eingreifen soll, wenn die Gläubiger – im Vergleich zur Regelinsolvenz – einen Nachteil erleiden würden. Eine Eigenverwaltung ist immer dann sinnvoll, wenn es auf die Fachkenntnisse der bisherigen Geschäftsleitung ankommt und eine zeitraubende Einarbeitung vermieden werden soll. Die Eigenverwaltung erzielt für die Gläubiger in fast allen Fällen eine höhere Quote als die Regelinsolvenz, weil das Unternehmen während des Verfahrens weiterarbeitet. Ein fortgeführtes Unternehmen ist deutlich werthaltiger als ein zerschlagenes Unternehmen. Die Eigenverwaltung ist nur dann sinnvoll, wenn das Unternehmen saniert und fortgeführt werden soll.

Die wichtigsten Vorteile:

  • Wenn nötig, übernimmt die Bundesagentur für Arbeit bis zu drei Monate lang alle Gehälter im Betrieb als Insolvenzgeld. Sie wird dann in Höhe des Insolvenzgeldes Gläubiger des Verfahrens und wird wie andere Gläubiger behandelt.
  • Nach Eröffnung der Insolvenz in Eigenverwaltung kann bereits an Sozialkassen und Finanzamt gezahltes Geld zurückgefordert werden.
  • Die Kündigungsfristen sind bei allen Dauerschuldverhältnissen – unabhängig von der Restlaufzeit – auf maximal drei Monate begrenzt. So kann sich das Unternehmen vergleichsweise leicht aus ungünstigen Liefer-, Leasing- und Mietverträgen, Darlehensverträgen sowie von verlustreichen Kundenaufträgen befreien.
  • Ungesicherte Altverbindlichkeiten (auch Pensionsverpflichtungen) werden nur mit der Insolvenzplanquote bedient. Der Rest der Forderungen gilt als erlassen.
  • Während des Verfahrens ist das Unternehmen vor Vollstreckungen der Gläubiger geschützt.
  • Wie im Regelinsolvenzverfahren müssen und dürfen Rechnungen, die bis zur Antragstellung noch offen sind, nicht mehr gezahlt werden. Auch auf sie entfällt die Insolvenzplanquote.

(Quelle: IHK Regensburg, IHK Lüneburg)


Aus Erfahrungen klüger werden Das raten Franziska Weihbrecht und Thomas Planer anderen Betroffenen:

Oft stehen junge Nachfolger völlig zu Unrecht in der örtlichen Kritik. Thomas Planer, Geschäftsführer, Planer & Kollegen GmbH
Oft stehen junge Nachfolger völlig zu Unrecht in der örtlichen Kritik.
Thomas Planer, Geschäftsführer, Planer & Kollegen GmbH

Der Sanierungsexperte:

  • Eine Planinsolvenz kostet Nerven, Schweiß und Tränen – in einer Familie noch viel mehr.
  • Es gibt keinen Weg zurück, sobald das Verfahren begonnen hat. Mittendrin festzustellen, es kostet zu viel Kraft und es wäre besser, alles wie vorher weiterlaufen zu lassen, ist keine Option.
  • Dankbarkeit von Familienmitgliedern, Mitarbeitern oder anderen Beteiligten ist oft eine unrealistische Erwartung.

Die Tochter und Unternehmerin

  • Je enger die Familien miteinander sind, desto schwieriger wird es, Konflikte rund um das Unternehmen zu lösen. Nicht diese Einsicht ist die Kunst, sondern sie sich frühzeitig klarzumachen.
  • Wer eine Insolvenz in Eigenverwaltung anstrebt, dem muss es egal sein, was andere von ihm oder ihr denken – selbst wenn es um die eigene Familie geht.
  • In dieser Zeit muss sich der Nachfolger, die Nachfolgerin auf sich und die Aufgaben konzentrieren, auch wenn das Einschnitte ins Privatleben bedeutet. Sonst reicht die Kraft nicht. Niemand kann vorher realistisch einschätzen, wie viel Arbeit, Entscheidungen und schlaflose Nächte auf einen zukommen.
  • Keine Firma übernehmen, ohne dass ein externer Experte die wirtschaftliche Lage beurteilt. Die Familie ist betriebsblind.
  • Die Anstrengungen lohnen sich